Stadtsimulation
Simulation und Visualisierung der Dynamik räumlicher Prozesse
in Städten
Reinhard
KÖNIG
Dipl.
Ing. Reinhard König, Lehrstuhl für Stadtquartiersplanung
und Entwerfen, TU Karlsruhe,
1. EINLEITUNG
Städtische Strukturen
resultieren aus verschiedenen kontinuierlich ablaufenden, sich
wechselseitig beeinflussenden Prozessen. Stellt man das Erscheinungsbild
einer Stadt zu einem bestimmten Zeitpunkt dar, erhält man lediglich
eine Momentaufnahme dieses dynamischen Systems. Ziel des im Folgenden
beschriebenen Projekts ist die Repräsentation der Stadt als kontinuierlicher
Prozess.
Das Tätigkeitsfeld
der Raumplanung umfasst die Organisation räumlicher Strukturen
und deren Wechselwirkungen mit gesellschaftlichen Prozessen. Planung
bedeutet stets die konzeptionelle Vorwegnahme noch nicht existierender
Zustände. Dabei konzentriert sich die gegenwärtige Praxis der
Planung lediglich auf den Vergleich von Soll und Ist. Wesentlich
für eine nachhaltige Stadtentwicklung wäre aber eine Auseinandersetzung
mit den Prozessen, die zu den jeweiligen Zuständen geführt haben
bzw. führen sollen. Sowohl eine eingehende Analyse der für die
städtische Entwicklung relevanten Zusammenhänge als auch ein bewusster
Umgang mit der Dynamik und den zeitlichen Eigenschaften von Prozessen
sind der räumlichen Planung fremd geblieben. Dementsprechend sind
Pläne immer noch statische Repräsentationen, während solche in
der Form dynamischer Karten nicht bekannt sind.
Für eine Visualisierung
räumlicher Prozesse ist zuerst einmal die städtische Dynamik in
Raum und Zeit zu simulieren. Grundlage dieser Simulation ist eine
‚bottom-up’ Beschreibung urbaner Vorgänge mittels mathematischer
Modelle, welche in einem weiteren Schritt für eine computertechnische
Verarbeitung in Algorithmen übertragen werden. Der Verlauf der
Berechnungen und die Entwicklung des Systems sollen grafisch dargestellt
werden.
2. STAND DER FORSCHUNG
Die formale Darstellung
und Simulation einer Stadt unter Einbeziehung aller wesentlichen
Teilbereiche[1] wird in der Fachliteratur
als ‚Large-Scale Urban Model’ bezeichnet. Die Entwicklung solcher
umfassenden Stadtmodelle begann in den 1950er Jahren in den USA.
Ausgangspunkt bildete die Standorttheorie von Johann Heinrich
von Thünen aus dem Jahr 1826, welche der Frage nachging, wie es
zu einer räumlichen Gleichgewichtsverteilung von Siedlungen, Flächennutzungen
und Bevölkerung kommt[2].
Von dieser Arbeit
ausgehend wurden verschiedene, grundlegende geographische “Gesetze”
entdeckt, die alle auf einem ökonomischen Verständnis von Optimalität
beruhen. Für das Verständnis urbaner Systeme sind besonders drei
dieser Gesetze relevant: Das Gesetz der Verteilung zentraler Orte[3],
das Gesetz der Aufteilung des Entwicklungspotentials in Abhängigkeit
von der Siedlungsgröße[4] und das Gesetz der Gleichgewichtsverteilung der
Grundrente, deren Höhe mit der Entfernung zum Stadtzentrum abnimmt[5]. Weitere Komponenten wie Bevölkerung, Arbeitsplätze, Dienstleistungen
und Verkehrssystem wurden ergänzend hinzugefügt und nahmen Einfluss
auf die Gleichgewichtsbildung. Von Bedeutung ist außerdem die
1952 erstmals veröffentlichte Theorie von Torsten Hägerstrand
über die räumliche Ausbreitung von Innovationen[6].
Den ersten Versuch,
diese Komponenten in einem „integrierten“ Stadtmodell zu vereinen
machte Lowry[7] 1964 am Beispiel von Pittsburgh. Dieses Modell
war allerdings statisch und unterlag der Annahme, dass sich eine
Stadt als Ganzes stets in einem Gleichgewichtszustand befindet.
Für die Gliederung einer Stadt in Sektoren, in welche die Aktivitäten
aufgeteilt waren, wurde ein Raster in der Auflösung von einer
Quadratmeile angenommen. Diese Aufteilung erinnert bereits an
die Struktur eines zellulären Automaten.
Jay Forrester[8] entwickelte 1969 als erster einen Ansatz für ein
dynamisches Stadtmodell. Darin werden positive Rückkoppelungen
als Hauptursache für komplexe und intuitiv nicht nachvollziehbare
Verhaltensweisen natürlicher und im speziellen urbaner Systeme
beschrieben. In Forresters Modell dominiert stets eine Rückkoppelungsschleife
das gesamte System, bis sie von einer anderen abgelöst wird. Für
die Untersuchungen des Verhaltens dieses dynamischen Modells war
der Computer ein unentbehrliches Werkzeug. Aus einer Änderung
der Eingabeparameter resultierte eine Veränderung des Gleichgewichtszustandes.
Dieser Zusammenhang war intuitiv nachvollziehbar und linear. Das
Problem an seinem Modell war hauptsächlich, dass es eine zu generelle
Sicht des urbanen Systems (basierend auf Durchschnittswerten)
beinhaltete und jeglichen Raumbezugs ermangelte (numerische Simulation
ohne graphische Oberfläche), was seine Ursache vermutlich in der
Ignoranz Forresters gegenüber der geografischen Theorie seiner
Zeit hatte.
Die meisten Simulationen,
die bis heute entwickelt wurden, basieren auf den Grundkonzepten
von Lowry und Forrester und versuchen die wesentlichen Komponenten
einer Stadt – Wohnen, Arbeiten, Dienstleistungen, Flächennutzung
und Verkehrssystem – im Rahmen eines Modells zueinander in Beziehung
zu setzen. Für eine detaillierte Erläuterung der Funktionsweisen
der aktuellsten Modelle verweise ich auf M. Wegeners Artikel „Urban
Land-Use Transportation Models“[9]. Das Ziel bei der Entwicklung dieser Modelle war,
die Ausgewogenheit zwischen dem Verständnis des Prozesses, der
Komplexität der Beschreibung und der Verfügbarkeit der Daten zu
gewährleisten. Die Gemeinsamkeit all dieser Modellkonzeptionen
besteht in einer reduktionistischen Sichtweise (top-down), welche
Systeme durch die Unterteilung in logisch begründete Komponenten
zu studieren versucht.
Im Folgenden möchte
ich mich auf die Kritik an den umfassenden Modellansätzen konzentrieren.
Der einflussreichste und populärste Angriff stammt von Douglas
B. Lee[10] und wurde 1973 unter dem Titel „Requiem for Large-Scale
Models“ veröffentlicht. Darin werden ‚Seven Sins of Large-Scale
Models’ beschrieben, die den Kern der Kritik bilden und in abgewandelter
Form teilweise bis heute ins Feld geführt werden.
Lees Liste der sieben
Sünden beginnt mit ‚Hypercomprehensiveness’ (Hyperausführlichkeit),
den Versuch, zu viel mit einem Modell erklären zu wollen. Konkret
bedeutet dies, dass zu viele Variablen
zu Prozessen gekoppelt werden, deren Aussagefähigkeit und Richtigkeit
nicht überprüfbar sind. Das Hinzufügen weiterer Teilaspekte in
der Absicht, das Modell zu komplettieren führt entgegen der Absicht
zu geringerer Genauigkeit, da mehr „Unwissen“ einfließt. Außerdem
führt ‚Wrongheadedness’ (Verbohrtheit) dazu, dass durch
die Integration zu vieler Einschränkungen und Beziehungen innerhalb
der Modellstruktur, die sich daraus ergebenden Mechanismen selbst
für den Hersteller des Modells nicht mehr zu verstehen oder zu
unterscheiden sind. Aus heutiger Perspektive lässt sich (z.B.
im Hinblick auf die Chaosforschung) leicht einsehen, dass zusätzliche
Variablen und Beziehungen ein System immer mehr von den Anfangsparametern
abhängig machen und dass relativ kleine Fehler zu einem vollständig
anderen und falschen Verständnis des zugrunde liegenden Prozesses
führen können.
Ein weiteres Problem
wird durch den Begriff ‚hungriness’ (Hunger) aufgezeigt,
der die ungeheure Menge an benötigen Daten ausdrückt. In Kombination
mit ‚complicatedness’ (Kompliziertheit), führt dies zu
dem Vorwurf der Unfähigkeit der Modellbauer, bei komplexen Modellen
ein angemessenes Verständnis für die selbst erzeugten ‚Black-Box’
Konstrukte zu entwickeln. Damit ist gemeint, dass ein Benutzer
keinen Anhaltspunkt hat, wie nach einer Änderung einer Eingangsvariablen
der entsprechende Ausgangswert zustande kommt[11]. Dieses Problem der Nachvollziehbarkeit führt
im Zweifelsfall zu einem Verlust der Vertrauenswürdigkeit des
Modells. Ferner ermöglicht es dem Programmierer durch die Festsetzung
von Restriktionen das Modell so zu justieren, dass es die gewünschten
Ergebnisse liefert. ‚Grossness’ (Grobheit) verstärkt die
Probleme zusätzlich, indem die Modelle mit „aggregierten“ Daten
(Durchschnittswerten) arbeiten, um die Kompliziertheit zu verringern,
dadurch aber trotz der enormen Datenmengen nur allgemeine Aussagen
auf globaler Ebene ermöglichen und nicht auf lokaler, wo sie für
Planungsentscheidungen notwendig wären.
Neben diesen noch
heute problematischen Punkten werden Sünden angeführt, die aus
gegenwärtiger Sicht durch den Fortschritt der Technik ihre Relevanz
verloren haben: ‚Mechanicalness’, womit die damaligen computertechnischen
Probleme angesprochen wurden, die durch Rundungsfehler oder die
Bedeutung der sequentiellen Bearbeitung einer Aufgabe zustande
kommen, sowie durch die Schwierigkeiten, ein Problem computergerecht
aufzubereiten, ‚Expensiveness’ (Kostspieligkeit), steht
für die hohen Kosten, welche für die Beschaffung der erforderlichen
Daten und Prognosen aufgewandt werden mussten. Die kommunalen
und regionalen Geo-Informations-Systeme (GIS), die seit den 1980er
Jahren eingeführt wurden, kosteten zwar ein Vermögen, sind heute
aber etabliert und können als Datengrundlage für die Modelle verwandt
werden.
In dem vorliegenden
Projekt wird für einen Umgang mit dem skizzierten Problemkreis
auf Erkenntnisse der Systemtheorie und speziell dem Teilbereich
zurückgegriffen, der sich mit komplexen Systemen beschäftigt,
der Komplexitätstheorie, auf welche später detailliert eingegangen
wird. Vorgreifend lässt sich feststellen, dass die mittlerweile
allgemeingültigen Richtlinien für Modellbauer, die Lee in seinem
Artikel abschließend anführt, mit den Grundsätzen der Komplexitätsforschung
übereinstimmen.
Nach Lee ist eines
der wichtigsten Kriterien eines Modells dessen Transparenz. Es
soll mit einem zumutbaren Aufwand für jeden Benutzer leicht verständlich
sein. Diese Forderung entspricht der Reduktion auf die wesentlichen
Systemparameter und deren Relationen. Dadurch wird gewährleistet,
dass bei Unstimmigkeiten im Modell die beteiligten Personen diese
entdecken und benennen können, was wiederum ermöglicht, nach einem
Konsens über die Anfangsannahmen Einigkeit über die Ergebnisse
zu erzielen und eine fruchtbare Zusammenarbeit der am Planungsprozess
beteiligten Personen zu gewährleisten.
Ferner ist bei der
Modellkonzeption eine Balance zwischen Theorie, Objektivität und
Intuition anzustreben. Das Vorgehen sollte sich an der Problemstellung
orientieren und dementsprechende Methoden auswählen, nicht umgekehrt.
Zusammengefasst sollte
ein Modell formal so einfach wie möglich gehalten werden, da Komplexität
„automatisch“ innerhalb der Modellstruktur entsteht.
3. ZIELSETZUNG
Eine Stadt ist ein
komplexes System par excellence. Die Bewohner und ihre Wohnstätten,
die Geschäfte und Produktionsstätten, der Verkehr von Waren und
Personen sind eng miteinander verwoben. Zwischen ihnen besteht
eine Vielzahl dynamischer Abhängigkeiten insofern als eine Veränderung,
die eines der Teile betrifft, komplexe Auswirkungen auf andere
Teile innerhalb des gesamten Systems haben kann.
Die zentrale Aufgabenstellung
des Vorhabens besteht darin, die Regeln der einzelnen Elemente
zu erkunden, die in ihrem Zusammenwirken durch Selbstorganisationsmechanismen
jene komplexen Strukturen bilden, die wir in Städten beobachten
können. Ich gehe davon aus, dass bestimmte Zusammenhänge - mit
jeweils verschiedenen Gewichtungen - für alle Siedlungen weltweit
gelten[12]. In erster Linie betrifft das die ökonomischen Gesetze des Handels
mit Waren und Ressourcen, sowie das Verhalten der individuellen
und kollektiven Akteure in einer Stadt, also das der Bürger und
politischer oder wirtschaftlicher Gruppierungen. Diese Beziehungen
werden in der Raumwirtschaftstheorie als Wechselwirkungen von
Struktur (Standorttheorie), Interaktion (räumliche Mobilitätstheorie)
und Prozess (regionale Wachstums- und Entwicklungstheorie) behandelt[13].
Im Kontext der Komplexitätstheorie,
in welchem das Forschungsvorhaben entwickelt wird, müssen die
Untersuchungen von den kleinsten sinnvollen Elementen ausgehen,
um die übergeordneten Emergenzphänomene zu erklären. Dementsprechend
muss vor der Beschäftigung mit den Modellen der einzelnen urbanen
Komponenten ein Simulationskonzept eingeführt werden, welches
darstellt wie das System Stadt computertechnisch repräsentiert
werden kann. Dieses Konzept umfasst die generelle Herangehensweise
sowie die Repräsentation der Elemente und deren Wechselwirkungen.
Die daran anschließende Methodik wird auf dieser Grundlage aufbauen.
Die Beschaffenheit
des urbanen Systems wird erkundet, indem zuerst die jeweiligen
Teilbereiche anhand einfacher, abstrakter Teilmodelle untersucht
werden, deren Beziehungen untereinander die Fragestellungen der
Teilbereiche erklären sollen. In der letzten Projektphase werden
die einzelnen Bereiche schließlich miteinander verbunden und bilden
so ein dynamisches Gesamtsystem.
Der erste Teilbereich
beschäftigt sich mit der Bevölkerungsverteilung im Raum.
Warum siedeln die Akteure wo, mit welchen Elementen interagieren
sie und welche Aktionsräume nehmen sie für sich in Anspruch?
Daran schließt der
Bereich des Bodenmarkts an, der Aufschluss darüber geben
soll, was zur Bildung von Zentren sowohl bei monozentrischen als
auch polyzentrischen Strukturen führt, wie sich die urbanen Funktionen
verteilen und welche Kräfte hinter den Vorgängen der Zersiedelung
und der Ballung stehen.
Einen weiteren Bereich
bildet der Verkehr. Dieser ist eng verknüpft mit den ersten
beiden Bereichen und behandelt den Einfluss des Verkehrssystems
und der Verkehrstechnologie auf den Bodenmarkt und die Bevölkerungsverteilung
und vice versa.
Nach der Behandlung
dieser Grundthemen folgt eine Beschäftigung mit den Veränderungen
von Strukturen. Warum und nach welchem Muster (periodisch oder
chaotisch) verändern sich die Strukturen im Verlauf der Zeit?
Schließlich rückt
die Umwelt in den Fokus der Auseinandersetzungen. Hier
gilt es zu klären, welche Rolle die Umwelteinflüsse auf die urbane
Entwicklung haben und welche Rückkoppelungen auf die anderen Bereiche
sich durch Emissionen und Immissionen ergeben.
Abschließend wird
erläutert, warum die Visualisierung des Verlaufs der dynamischen
Prozesse ein wichtiger Bestandteil des Projekts ist und welche
Möglichkeiten sich für die Planung eröffnen. Also wie Strategien
für eine nachhaltige Stadtentwicklung aussehen können und wie
sich diese in der Ausbildung von Städtebauern und der Praxis des
städtebaulichen Entwerfens nutzen lassen.
4. METHODIK
Es war bereits wiederholt
von Komplexität und Selbstorganisation die Rede. An dieser Stelle
sollen die Grundlagen, welche hinter diesen Begriffen stehen,
nochmals zusammenfassend erläutert werden.
Die hier konzipierte
Simulation von Stadt kann als adaptives Kollektiv interagierender
Einheiten verstanden werden und steht damit im Gegensatz zu den
‚top-down’ Ansätzen der ‚Large-Scale Urban Models’, die im Abschnitt
Stand der Forschung beschrieben wurden. Das vorliegende Projekt
ist durch eine generative Vorgehensweise (bottom-up) charakterisiert.
Dabei werden Phänomene als ein Produkt (oder Synthese) vielfacher
Interaktionen einfacher elementarer Einheiten aufgefasst.
Für das Verständnis
generativer Systeme sind Selbstorganisation und Emergenz wesentlich.
Das Zutagetreten übergeordneter (globaler) Phänomene auf der Grundlage
einer beschränkten Anzahl von Regeln oder Vorschriften, die auf
lokaler Ebene auf viele abstrakte Entitäten angewandt werden,
wird als Emergenz bezeichnet. Derlei Emergenzphänomene können
z.B. kollektives Verhalten oder räumliche Muster darstellen, die
sich scheinbar selbst durch das Zusammenwirken der einzelnen Teile
organisieren, indem die Interaktionen im Verlauf der Zeit zu gegenseitigen
Adaptionen führen. Das Wesen der Selbstorganisation liegt dabei
in der Art und Weise, wie die Wechselwirkungen zwischen den Elementen
und mit der Umwelt stattfinden. John Holland hat diese Zusammenhänge
mit der einprägsamen Formel „much coming from little“ umschrieben.
Beispiele für derartige Phänomene lassen sich in Verkehrsstaus,
städtischen Slums oder ethnisch homogenen Stadtbezirken finden.
Da das Verhalten
dieser Systeme nicht linear und vorhersehbar, sondern an sich
unvorhersehbar ist, werden sie als komplexe Systeme bezeichnet.
Der einzige Weg das Verhalten dieser Systeme zu erforschen, ist
sie zu simulieren.
4.1 Simulationskonzept
Ich beginne mit der
Erklärung, wie sich das System Stadt computertechnisch repräsentieren
lässt. Dazu werden verschiedene Repräsentationsformen für Raum,
Zeit und Akteure eingeführt. Ausgehend von dem Paradigma der Objektorientierten
Programmierung (OOP) wird es jeweils eine Klasse geben für:
·
Räumliche Elemente wie Straßen, Parzellen und Gebäude[14], die als örtlich fixierte
Objekte behandelt werden, deren Zustände (Eigenschaften) sich
aber zu bestimmten Zeitpunkten verändern. In einem ersten Abstraktionsschritt
werden diese Elemente in die Zellen eines regelmäßigen Rasters
übertragen und anhand des Status einer solchen Zelle gespeichert.
Diese Struktur bildet die Grundlage für die Funktionsweise eines
Zellulären Automaten (ZA). Bei einem ZA können der Status und
die Eigenschaften einer Zelle von den Zuständen seiner Nachbarzellen
abhängig gemacht werden und sich bei jedem Zeitschritt verändern[15].
·
Akteure, deren Entitäten im Folgenden als Agenten
bezeichnet werden. Mittels diesen können sowohl individuelle als
auch kollektive urbane Akteure[16]
dargestellt werden. Im Gegensatz zu den Zellen sind Agenten mobil
und können sich frei über das Zellenraster (zellulärer Raum) bewegen.
Dabei lassen sich verschiedene Arten der Kommunikation der Agenten
untereinander, sowie mit den Zellen anhand der Objektmethoden
(interne Verarbeitungsregeln der Objekte) definieren. Das gesamte
System der Agenten wird als Multi-Agenten System (MAS) bezeichnet[17]. Ein aus den beiden
Komponenten ZA und MAS bestehendes System bildet ein ‚Inter Representation
Network’ (IRN)[18].
Ein einfaches Beispiel
für ein IRN ist das Modell ‚Wegesystem’ (siehe Prototyp Abb. 01),
bei welchem sich die Agenten des MAS frei über den zellulären
Raum bewegen und dabei jene Zellen markieren, welche sie überquert
haben. Stößt ein Agent in seiner nächsten Umgebung auf eine markierte
Zelle, so bewegt er sich tendenziell in deren Richtung und verstärkt
dadurch die bestehende Markierung. Das System lässt sich mit Fußspuren
über einem frisch verschneiten Platz vergleichen, welche im Verlauf
der Zeit durch andere Fußgänger verstärkt, oder bei Nichtbenutzung
wieder verweht werden.
Für die Repräsentation
des Vergehens der Zeit ist beabsichtigt, mit zwei Zeitkoordinaten
zu arbeiten, die jedem Objekt des Systems zugewiesen werden, um
eine Unterscheidung von Ereignissen nach Gegenwart, Zukunft und
Vergangenheit zu ermöglichen. Dies ist notwendig, um z.B. die
Auswirkungen einer zukünftigen Planung in Bezug zu einer gegenwärtigen
Entwicklung oder Überschneidungen mit anderen Planungen berücksichtigen
zu können.
Ferner müssen die
unterschiedlichen Geschwindigkeiten und zeitlichen Rhythmen der
Komponenten berücksichtigt werden: Verkehrssysteme und Flächennutzungen
verändern sich nur in sehr großen Zeiträumen (Jahrhunderte), die
Wohnungsstruktur und der Arbeitsmarkt unterliegen einer mittelschnellen
(Jahrzehnte), die Beschäftigungsstruktur und Bevölkerung dagegen
einer schnellen (Jahre) Veränderungsrate. Der Warentransport und
Personenverkehr erfolgen unmittelbar, wogegen die Auswirkungen
wie Luft- und Lärmbelastung, welche die Umwelt betreffen, indirekt
ablaufen[19].
Hierzu lassen sich den spezifischen Objekten mittels ihrer Methoden
interne Uhren zuweisen, welche die Geschwindigkeiten kontrollieren.
Eine Umsetzung der Veränderungsrhythmen kann über Schwellenwerte
erfolgen, indem ein Objekt marginale Veränderungsanforderungen
in einem Potentialparameter speichert und eine Veränderung erst
dann stattfindet, wenn das Potential den Schellenwert überschreitet.
Als Datengrundlage
für die Simulationsmodelle dienen GIS, auf deren Datenbanken über
ein ‚loose coupling’ zugegriffen wird[20],
oder indem spezieller GIS Funktionen in die Simulationsumgebung
integriert werden, die einen direkten Datenaustausch erlauben[21].
Die Auswahl der Methodik wird sich erst im Fortgang des Projektes
aus den möglichen Planungsanwendungen ergeben.
4.2 Bevölkerungsverteilung
Eine Antwort auf
die Fragestellungen, warum bestimmte Akteure wo siedeln und welche
Aktionsräume sie für sich in Anspruch nehmen, hängt mit einer
Vielzahl von Einflussfaktoren zusammen. Zu diesen gehört insbesondere
im städtischen Raum der Bodenmarkt, welcher unter dem nächsten
Punkt besprochen wird. Bodenpreise und Nutzungsdichten sind eng
miteinander verknüpft, sie sind sozusagen verschiedene Seiten
derselben Medaille (Eine Veränderung in dem einen Bereich findet
nicht ohne Auswirkungen auf den Anderen statt): Beide Teilsysteme
bilden zusammen eine zirkuläre Kausalität. Unter diesem Punkt
soll betrachtet werden, wie es zur Bildung von Zentren kommt.
Deren Wirkungen sollen unter Punkt 4.3 Bodenmarkt untersucht werden.
Der Begriff des Zentrums
kann in seiner Bedeutung je nach Betrachtungsebene variieren.
So verteilen sich beispielsweise über die ganze Welt Handels-
oder Technologiezentren in Form bedeutender Städte oder Regionen.
Begrenzt man das Blickfeld auf ein Land, werden Städte nach ihrem
Rang geordnet, entsprechend ihrer Bevölkerungszahl oder Produktionsleistung.
Eine Stadt für sich beinhaltet wiederum mindestens ein Stadtzentrum,
den so genannten zentralen Handelsbereich (Central Business Distrikt
CBD). Einzelne Stadtgebiete unterscheiden sich danach, ob sie
vorwiegend Produktions-, Handels- oder Wohnnutzungen beherbergen
oder bei einer heterogenen Zusammensetzung als Mischgebiet gelten.
Die verschiedenen Gebiete bilden untergeordnete Zentren innerhalb
der Stadt, welche die Bebauungsart und -dichte definieren. Diese
Hierarchie der Zentren setzt sich fort bis in die Wohnungen, in
welchen die Zimmer mit der höchsten Nutzungsdauer die zentralen
Räume darstellen.
Die Entstehung und
Dynamik der Zentren innerhalb einer Stadt, welche hier besprochen
werden, hängen von exogenen sowie endogenen Einflüssen ab. Exogene
Einflüsse sind z.B. topographische Gegebenheiten oder stadtplanerische
Konzepte. Die endogenen Faktoren, welche dem Prozess der Zentrenbildung
zugrunde liegen, setzen sich zusammen aus den Präferenzen der
individuellen oder kollektiven Akteure, welche sich ökonomisch
anhand des Wertes eines Standortes ausdrücken lassen und als „anziehende“
oder „abstoßende“ Wechselwirkung zwischen den unterschiedlichen
Bebauungsarten modelliert werden können (siehe Segregationsmodell,
Prototyp Abb. 2). Der Wert eines Standorts hängt ab von dessen
Entfernung zu anderen Standorten (zu ermitteln über Erreichbarkeitsanalysen[22]) und dem sozialen Umfeld. Diese Entfernungen werden auf zweierlei
Weise bewertet: erstens gemäß der Fahrtkosten, die durch die Wahl
des Standortes ent‑ bzw. anfallen (siehe Skalenerträge,
Prototyp Abb. 3), und zweitens danach, ob der Ausblick angenehm,
die Umgebung passend und die Emissionsquellen von Störungen und
Beeinträchtigungen fern sind. Die Bewertung der Bezüge der letzteren
Art leitet sich nicht aus den Preisen für knappe Ressourcen ab, sondern
aus den Raten räumlicher Diskontierung[23].
Segregationsmodell (siehe Abb.2): Verschiedene
Agenten (in Abb. 2 blau und gelb markierte Punkte) repräsentieren
Nutzungen, die räumlich nicht zusammen liegen sollen. Im Modell
werden die Zellen um einen Agenten herum seiner Nutzung entsprechend
markiert. Dieser Raum ist beispielsweise durch Emissionen eines
Gewerbebetriebs beeinträchtigt (blau). Wohnnutzungen (gelb) bleiben
diesen Flächen fern. Es entstehen automatisch Cluster der verschiedenen
Farben um die Anlagerungspunkte (rot).
Skalenerträge (siehe Abb. 3): Das
Modell zeigt, wie sich positive Skalenerträge auf das Einzugsgebiet
eines Herstellers/Händlers (Markt) auswirken: Bei der Herstellung
eines Produktes fallen bestimmte Kosten an. Kann eine größere
Anzahl der Produkte verkauft werden (versch. farbige Einzugsgebiete),
sinken die Kosten pro Produkt (Skalenertrag). Es
lohnt sich somit für
einen Käufer, einen weiteren Weg zurückzulegen, um das billiger
gehandelte Produkt zu erwerben, wodurch allerdings seine Fahrtkosten
steigen. Die erhöhte Nachfrage in einem Markt führt wiederum zu
einer weiteren Preissenkung. Bei dem dadurch entstehenden Konkurrenzkampf
um Absatzgebiete können sich einige Anbieter durchsetzen und örtliche
Monopole bilden. An den Grenzen der Einzugsgebiete gleichen sich
die Fahrtkosten und die Kosten des Produkts im nächstgelegenen
Markt aus. Bei teureren Produkten verstärkt sich diese Wirkung
der Skalenerträge.
Die Umwelteinflüsse
(Ressourcen, Emissionen und Immissionen) werden mittels der Objekteigenschaften
der Zellen als Umweltdaten in das Rastermodell aufgenommen, welches
mindestens die Komponenten Luftverschmutzung, Lärmbelastung, Verbrauch
natürlicher Ressourcen, Umwelt- und Landschaftsqualitäten sowie
unverbauter Raum enthält.
4.3 Bodenmarkt
Ist das System der
Zentren ansatzweise definiert, sind auch die Randbedingungen für
ein Bodenmarktmodell in Anlehnung an Thünen (siehe Abb. 4) und
Alonso zustande gekommen. Dieses regelt auf gesamtstädtischer
(Makro-) Ebene das Layout der Grundstücke und Erschließungswege.
Ferner stellen die Bodenpreise den Zusammenhang zwischen Fahrtkosten
und Nutzungsdichten her (siehe Punkt 4.2).
Als ein erster Lösungsansatz
soll hier ein Verhandlungsmodell für die Landnutzung
nach von Thünen vorgestellt werden (siehe Prototyp Abb. 4). Im
Gegensatz zur Berechnung idealer Landzonierungen, wird hier für
eine gegebene Menge von Nutzungen deren ideale Verteilung verhandelt.
Verhandlungsmodell (siehe Abb. 4): Eine
Zelle repräsentiert im Modell einen Landwirt, der versucht, den
Gewinn mit
seinem Anbauprodukt
zu maximieren. Der Gewinn ist abhängig von der Produktivität,
der Entfernung zum Markt und den Transportkosten für die unterschiedlichen
Güter. Die Verhandlungsregeln sind so definiert, dass jeder Landwirt
innerhalb eines definierten Umgebungsbereichs vergleicht, ob er
auf einem anderen Grundstück mit seinem Anbauprodukt einen höheren
Gewinn erzielen kann. Ist dies der Fall, versucht er dieses einzutauschen.
Kommt es dabei zu einer Konkurrenz bei der Nutzung einer Parzelle,
unterliegt derjenige Landwirt, der mit seinem Produkt an dieser
Stelle einen geringeren Gewinn erwirtschaften würde als sein Konkurrent.
Eine erste Besonderheit bei diesem ‚bottom-up’ Ansatz ist die
Abhängigkeit der Landnutzungsstruktur von dem Umgebungsbereich,
innerhalb welchem ein Vergleich stattfindet. Ist dieser relativ
gering, kommt es nicht zu einer idealen Verteilung.
Auf einem derartigen
dezentralen Verhandlungs- und Vergleichsmodell aufbauend soll
eine der grundlegenden Aufgaben dieses Projektes angegangen werden,
die darin besteht, dass Zusammenwirken mit den Teilmodellen für
die Bevölkerungsumverteilung (4.1) und des Verkehrssystems (4.3)
aufzuzeigen, wodurch sich das Zustandekommen sowie die Auswirkungen
der Bodenpreise eingehend untersuchen lassen: Die Nachfrage nach
zentralen Gütern führt zu einem erhöhten Verkehrsaufkommen zum
Zentrum hin und resultiert in der Nachfrage nach Raum für mobile
und immobile Nutzungen, was sich in den Quadratmeterpreisen widerspiegelt.
Dieses Zusammenspiel kann zu einem effizienten Marktgleichgewicht
führen[24], welches den Ausgleich räumlicher und zeitlicher
Knappheit herstellt und den Verlauf der Dichte- und Bodenpreisgradienten
reproduziert, dessen statistische Regelmäßigkeit sich empirisch
nachweisen lässt. Die Relativität räumlicher und zeitlicher Knappheit
besteht darin, dass erstens räumliche Entfernung in Fahrtzeit
übersetzt und Fahrzeit zweitens zur Geräumigkeit der Verkehrskorridore
in Abhängigkeit gesetzt wird. Der dem Verkehr gewidmete Raum geht
vom Raum für die immobilen Nutzungen ab, die er verbindet. Je
mehr Raum für einen schnell und reibungslos fließenden Verkehr
verwandt wird, desto knapper wird der Raum für diejenigen Nutzungen,
welche die Nähe zum Zentrum wegen der Zeitersparnis und den höheren
Erträgen suchen.
Schließlich bilden
die Verkehrsbelastungen in Form von Lärmbelästigung und Luftverschmutzung
die Emissionen für das Umweltmodell und die Dichte der Besiedlung
wirkt sich auf die Ressourcen an unverbauter Landschaft aus. Als
technische Grundlage, z.B. für die Berechnung der Ausbreitung
von Abgasen greife ich auf das Diffusionsmodell[25] zurück. Als Immissionen
wirken die Belastungen und Beeinträchtigungen auf die Raten räumlicher
Diskontierung zurück, wodurch sich ein weiterer Rückkoppelungskreis
über das Umweltmodell zur Standortbewertung schließt.
4.4 Verkehr
Wie das Verkehrs-Teilmodell
in das Gesamtmodell zu integrieren ist, wurde unter dem letzten
Punkt (4.3) dargestellt. Im Folgenden wird erläutert, wie erstens
die Struktur der Verkehrsverbindungen computertechnisch erfasst
werden kann und wie sich zweitens die Benutzung dieser Struktur
ausdrücken lässt.
Fraktale Struktur
des Transportsystems: Als weitere Form der Selbstorganisation
wird die fraktale Geometrie von erschließenden und erschlossenen
Räumen behandelt[26]. Von der kleinsten architektonischen
Einheit –dem einzelnen Zimmer – ausgehend, stellt sich die gebaute
Struktur als eine Abfolge von erschlossener Raumeinheit und erschließendem
Umraum dar: Das Zimmer wird vom Gang, die Wohnung vom Treppenhaus,
das Treppenhaus vom Grundstückszugang, der Häuserblock von der
Anliegerstraße, das Quartier von der Durchgangsstraße usw. erschlossen.
Als Grundlage für
die Ableitung des beschriebenen fraktalen Graphen können die Daten
des Verkehrsnetzes der untersuchten Region aus einem GIS herangezogen
werden. Dadurch erhält man die geometrisch-räumliche Struktur
des Netzwerks, welches die Ausgangsdaten für Wegelängen, Verkehrsauslastungen,
Instandhaltungskosten usw. liefert. Daraus werden die topologischen
Eigenschaften eines gewichteten Graphen hergeleitet, auf dessen
Basis sich Erreichbarkeitsanalysen anhand der Konvektivität des
Graphen sowie Kosten-Nutzen-Verhältniswerte berechnen lassen.
Erstere sind relevant für Standortanalysen und Aussagen über die
Ausprägung der abgestuften Zugangsrechte bestimmter Räumlichkeiten,
welche eng verbunden sind mit der sozialen Struktur einer Stadt.
Letztere schließen im Zusammenspiel mit den Daten der Flächennutzungen
den Wirkungskreis zum Bodenmarkt. Diese zirkuläre Abhängigkeit
geht mit Effekten sich multiplizierender Parameter einher, deren
Untersuchung einen der zentralen Gegenstände dieses Vorhabens
darstellt.
Benutzung des
Transportsystems: Analog zu der räumlich fraktalen Struktur
des Erschließungssystems lässt sich eine fraktale Zeitstruktur
bei dessen Benutzung feststellen: Man geht so und so oft im Zimmer
umher, bevor man auf den Gang tritt; man geht so und so oft in
der Wohnung umher, bevor man sie verlässt; man legt so und so
viele Hin- und Rückwege im Quartier zurück, bevor man umliegende
Quartiere aufsucht; man fährt so und so oft in der eigenen Stadt
umher, bevor man eine andere besucht usw. Diese Pendelbewegungen
bilden zusammengenommen eine Hierarchie von wiederum sich selbst
ähnlichen Rhythmen und sind meist typisch stabile Prozesse. Sie
führen zum Ausgangspunkt zurück und streben einem Gleichgewicht
zu.
Die Summe der Bewegungen
eines Akteurs in einem bestimmten Zeitraum kann als ‚Spur’ dargestellt
werden, welche als Trajektorie bezeichnet wird, deren räumliche
Ausdehnung wiederum den Aktionsraum eines Akteurs bildet.
Trajektorien werden bei jedem Akteursobjekt (Agent) erfasst, indem
eine Eigenschaft als ‚historischer Container’ die Raumkoordinaten
der zurückgelegten Wege des Akteurs mit den zugehörigen Zeitkoordinate
speichert. Dadurch lassen sich die Trajektorien und Aktionsräume
in allen möglichen Zeiträumen abrufen und analysieren, was für
den folgenden Punkt wichtig ist.
4.5 Veränderungen
In einer Stadt findet
sich keine zentrale Planungseinrichtung, welche das Problem der
Verteilung von Angebot und Nachfrage löst. Trotzdem werden verheerende
Schwankungen zwischen Knappheit und Überangebot über die Jahre
und Dekaden hinweg vermieden. Diese geheimnisvolle Selbstregulierung
wird umso rätselhafter, wenn man die facettenreiche Natur großer
Städte in Betracht zieht. Käufer, Verkäufer, Verwaltung, Straßen,
Brücken und Gebäude unterliegen einer ständigen Veränderung, so
dass die Kohärenz einer Stadt auf wundersame Weise aus einem kontinuierlichen
Fluss von Menschen und Strukturen besteht. Gleichsam einer stehenden
Welle vor einem Fels in einem schnell fließenden Strom, bildet
eine Stadt ein Muster in der Zeit.
Dieses Bild von John Holland wird in der Sprache der
Komplexitätstheorie als seltsamer Attraktor beschrieben, ein System
am Rande des Chaos, welches weder einem Gleichgewichtspunkt (Attraktor)
zustrebt, noch in unregelmäßiges Chaos abgleitet, sondern dazwischen
pendelt (siehe Abb. 5).
Um die Vorgänge in
einer Stadt für meine Untersuchungen greifbar zu machen, werden
nicht nur die Bewegungen eines Akteurs, sondern auch der Verlauf
aller möglichen Prozesse mittels Trajektorien erfasst, deren Gestalten
als vierdimensionale (drei Raumkoordinaten zur Positionsbeschreibung
plus Zeitkoordinate) ‚Linien’, ‚Röhren’ oder ‚Bäume’ dargestellt
werden können. Ein anschaulicher Beispielfall von röhrenartigen
Prozessen sind Fahrzeuge, deren Grundfläche im Prinzip gleich
bleibt, aber insofern schwankt, als die in Anspruch genommene
Verkehrsfläche mit der Fahrtgeschwindigkeit variiert. Baumartig
sind Prozesse, in deren Zustandsfolge Objekte aus Teilen zusammengesetzt
und in Teile wieder aufgelöst werden. Das Standardbeispiel eines
baumartigen Prozesses ist die Geschichte einer Parzelle, die durch
mehrfache Verschmelzung und Teilung ihre aktuelle Gestalt gefunden
hat.
Aus der Form der
Trajektorien lassen sich Aktivitätsmuster ableiten (tägliche,
wöchentliche, saisonale und jährliche Austauschprozesse), die
Aussagen erlauben über die Benutzungsfrequenz räumlicher Einheiten.
Diese Aktivitätsmuster werden als Rhythmen bezeichnet[27].
Die Klassifikation
sozialer Prozesse nach dem Grad der Stabilität ihrer Rhythmen
(stabil, konservativ, instabil, selbstorganisierend) eignet sich
als neuer und viel versprechender Ansatz zur Beschreibung der
räumlichen Wirkungen sich verändernder Zeitstrukturen. Als Generalannahme
kann nämlich gelten, dass wir es dort, wo räumlich dauerhafte
Strukturen vorliegen, mit stabilen Prozessen in den zugehörigen
Aktivitätsmustern zu tun haben. Städte sind als räumliche Strukturen
so dauerhaft, weil sie Aktivitätsmuster mit außerordentlich stabilen
Rhythmen bergen.
4.6 Visualisierung
Neben der Simulation
urbaner Mechanismen ist es ein zentrales Anliegen des Projektes,
diese grafisch darzustellen. Nur durch eine allgemeinverständliche
Visualisierung der Prozesse kann bei den am Planungsprozess Beteiligten
ein Bewusstsein für die Problematik der dynamischen Abhängigkeiten
sich gegenseitig beeinflussender Einflussgrößen geschaffen werden.
Unter dem Modellkriterium der Transparenz wurde die Bedeutung
der Nachvollziehbarkeit einer Simulation bereits diskutiert[28]. Umgesetzt wird diese Anforderung durch den hierarchischen
Aufbau der Teilbereiche, deren Funktionsweisen anhand einzelner
Teilmodelle nachvollzogen werden können. Als Beispiele für die
grafische Aufbereitung der Prozessverläufe können die bereits
angefertigten Prototypen herangezogen werden, die als eigene Windowsprogramme
konzipiert wurden und technisch auf der Windows Schnittstelle
zur Anwendungsprogrammierung (Windows-API) beruhen.
Die Visualisierung
räumlicher Prozesse beinhaltet neben einer Darstellung der Dynamik
räumlicher Prozesse die vektorbasierte Abbildung der städtischen
Struktur. Zu diesem Zweck müssen die topologischen Relationen,
die aus den Raumbeziehungen hervorgehen, ständig von einer geometrischen
Darstellung begleitet werden. Die Restriktionen, welche mit der
Geometrie der räumlichen Elemente verbunden sind, werden an die
topologischen Organisationsmöglichkeiten rückgekoppelt[29]. Die dadurch ermöglichte vektorbasierte Abbildung
soll eine präzise Darstellung und eine Anbindung an die Datenstruktur
bestehender GIS erlauben.
5. PLANUNG
Im Verlauf des vorliegenden
Projekts soll ein Computerprogramm entwickelt werden, welches
die Untersuchung der Auswirkungen alternativer Planungen und Strategien
innerhalb des städtischen Gefüges anhand klar umrissener Szenarienmodelle
erlaubt. An dieser Stelle wird abschließend noch einmal zusammengefasst,
was das Programm leisten soll:
·
Die Manipulation von Einflussgrößen (Kontrollparameter)
mittels einer grafischen Benutzeroberfläche erlaubt die interaktive
Einflussnahme auf die ablaufenden Prozesse.
·
Die einzelnen Teilprogramme können zur Erweiterung der
Funktionalität bestehender GIS dienen, beispielsweise zur Visualisierung
von Verkehrsströmen und der Kartierung von Aktionsräumen.
·
Die Simulation der komplexen Zusammenhänge in urbanen Handlungsfeldern,
die nicht als allumfassendes Stadtmodell sondern als „Denkwerkzeug“
verstanden werden soll, ermöglicht gezielte Prognosen städtischer
Szenarien.
·
Das zu konzipierende Programm ist zum einen als Planungsinstrumentarium
zu nutzen, denn es ermöglicht ein besseres Verständnis komplexer
Zusammenhänge verschiedener Einflussgrößen auf die Stadtentwicklung
und erleichtert somit administrative und politische Entscheidungen,
die als exogene Einflüsse in das Simulationsprogramm aufgenommen
werden.
·
Zum anderen können administrative und politische Entscheidungen
der Bevölkerung besser vermittelt werden, wenn die den Entscheidungen
zugrunde gelegten Zusam-menhänge visualisier- und damit besser
nachvollziehbar sind (siehe Abb. 6).
·
Nicht zuletzt eröffnen sich durch die Visualisierung räumlicher
Prozesse neue Möglichkeiten für die Partizipation der Bevölkerung
an der Stadtplanung (e-Democracy). Beispielsweise lassen sich
unterschiedliche Interessen als Kontrollparameter ausdrücken.
Die jeweiligen Simulations-modelle könnten den Bürgern zugänglich
gemacht werden, womit die Auswirkungen der Haltungen unterschiedlicher
Interessengruppen für den Einzelnen unmittelbar einsichtig würden
(siehe Abb. 6).
6. LITERATUR
Die Programme, denen
die Abbildungen für die Prototypen entnommen wurden sind im Internet
erhältlich unter: http://www.entwurfsforschung.de/Strukturfor/delphi/delphi.htm
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